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EEG bei Enzephalopathien

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Neurophysiol. Lab. 35 (2013) 87–97 Online verfügbar unter www.sciencedirect.com EEG bei Enzephalopathien Frank Thömke Fachbereich Neurologie, Klinikum Worms gGmbH, Gabriel-von-Seidl-Strasse 81, 67550 Worms Akzeptiert am 23. Mai 2013 Online verfügbar seit 28. Mai 2013 Zusammenfassung Als ,,Enzephalopathie“ werden ganz allgemein krankhafte Veränderungen des Gehirns bezeichnet, die das Gehirn als Ganzes betreffen, wobei aber auch einzelne Bereiche stärker als andere betroffen sein können. In erster Linie handelt es sich hierbei um neurodegenerative und vaskuläre Erkran- kungen, metabolisch-toxische Störungen, hypoxische Hirnschädigungen nach Reanimation sowie Medikamentennebenwirkungen. Hierbei treten im EEG vor allem intermittierende oder kontinuier- liche generalisierte Verlangsamungen auf, die bei regional betonten Prozessen (z.B. neurodegenerative oder vaskuläre Erkrankungen) zusätzlich auch zu regionalen Verlangsamungen führen können. Diese EEG-Veränderungen gehen gemeinhin mit Veränderungen des Bewusstseins einher, die umso ausge- prägter sind, je schwerer das EEG verändert ist. Solche EEG-Veränderungen sind für sich allein genommen völlig unspezifisch, d.h. ein bestimmtes EEG-Muster kann verschiedene Ursachen haben, dieselbe Ursache kann zu verschiedenen EEG-Veränderungen führen, und derselbe klinische Befund kann mit verschiedenen EEG-Mustern einher gehen. Trotzdem ist das EEG bei der Untersuchung der Hirnfunktion nach wie vor konkurrenzlos und durch die Computer- oder Magnetresonanzto- mographie keinesfalls zu ersetzen. Dabei kann das EEG unter Berücksichtigung der Ätiologie der Hirnfunktionsstörung oft auch Rückschlüsse auf die Prognose dieser Patienten geben. Schlüsselwörter: EEG; Enzephalopathie; neurodegenerative Krankheiten; vaskuläre Erkrankun- gen; metabolische Störungen Summary The term ,,encephalopathy“ refers to a number of different disorders, which affect the whole brain and cause global brain dysfunction. Certain brain regions, however, may be more severely affected than others – at least temporarily. Common causes are neurodegenerative, neurovascular, metabolic- toxic, or hypoxic brain diseases and side effects of drugs. Encephalopathic EEGs are characterized by diffuse slowing, which may be intermittent or continuous. Additional regional slowing may occur in disorders with regional accentuation such as neurodegenerative or neurovascular diseases. Abnormal EEG patterns are associated with altered mental states, usually the more pronounced the more severely the EEG is slowed. EEG patterns associated with encephalopathies are non-specific, i.e. a certain EEG pattern may be caused by different disorders, the same condition may cause different abnormal EEG patterns, and the same clinical findings may be associated with different EEG patterns. Despite these limitations, EEG is unrivalled in the examination of global brain function and cannot E-mail: [email protected] http://dx.doi.org/10.1016/j.neulab.2013.05.005
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Page 1: EEG bei Enzephalopathien

Neurophysiol. Lab. 35 (2013) 87–97

Online verfügbar unterwww.sciencedirect.com

EEG bei Enzephalopathien

Frank Thömke

Fachbereich Neurologie, Klinikum Worms gGmbH, Gabriel-von-Seidl-Strasse 81,67550 Worms

Akzeptiert am 23. Mai 2013Online verfügbar seit 28. Mai 2013

Zusammenfassung

Als ,,Enzephalopathie“ werden ganz allgemein krankhafte Veränderungen des Gehirns bezeichnet,die das Gehirn als Ganzes betreffen, wobei aber auch einzelne Bereiche stärker als andere betroffensein können. In erster Linie handelt es sich hierbei um neurodegenerative und vaskuläre Erkran-kungen, metabolisch-toxische Störungen, hypoxische Hirnschädigungen nach Reanimation sowieMedikamentennebenwirkungen. Hierbei treten im EEG vor allem intermittierende oder kontinuier-liche generalisierte Verlangsamungen auf, die bei regional betonten Prozessen (z.B. neurodegenerativeoder vaskuläre Erkrankungen) zusätzlich auch zu regionalen Verlangsamungen führen können. DieseEEG-Veränderungen gehen gemeinhin mit Veränderungen des Bewusstseins einher, die umso ausge-prägter sind, je schwerer das EEG verändert ist. Solche EEG-Veränderungen sind für sich alleingenommen völlig unspezifisch, d.h. ein bestimmtes EEG-Muster kann verschiedene Ursachen haben,dieselbe Ursache kann zu verschiedenen EEG-Veränderungen führen, und derselbe klinische Befundkann mit verschiedenen EEG-Mustern einher gehen. Trotzdem ist das EEG bei der Untersuchungder Hirnfunktion nach wie vor konkurrenzlos und durch die Computer- oder Magnetresonanzto-mographie keinesfalls zu ersetzen. Dabei kann das EEG unter Berücksichtigung der Ätiologie derHirnfunktionsstörung oft auch Rückschlüsse auf die Prognose dieser Patienten geben.

Schlüsselwörter: EEG; Enzephalopathie; neurodegenerative Krankheiten; vaskuläre Erkrankun-gen; metabolische Störungen

Summary

The term ,,encephalopathy“ refers to a number of different disorders, which affect the whole brainand cause global brain dysfunction. Certain brain regions, however, may be more severely affectedthan others – at least temporarily. Common causes are neurodegenerative, neurovascular, metabolic-toxic, or hypoxic brain diseases and side effects of drugs. Encephalopathic EEGs are characterized bydiffuse slowing, which may be intermittent or continuous. Additional regional slowing may occur indisorders with regional accentuation such as neurodegenerative or neurovascular diseases. AbnormalEEG patterns are associated with altered mental states, usually the more pronounced the moreseverely the EEG is slowed. EEG patterns associated with encephalopathies are non-specific, i.e. acertain EEG pattern may be caused by different disorders, the same condition may cause differentabnormal EEG patterns, and the same clinical findings may be associated with different EEG patterns.Despite these limitations, EEG is unrivalled in the examination of global brain function and cannot

E-mail: [email protected]://dx.doi.org/10.1016/j.neulab.2013.05.005

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be displaced by computer assisted tomography or magnetic resonance imaging. Considering theetiology of a brain dysfunction, EEG may also be of prognostic value.

Keywords: EEG; encephalopathy; neurodegenerative disorders; vascular disorders; metabolicdisorders

1. Einleitung

Der Begriff Enzephalopathie bezeichnet krankhafte Veränderungen desGehirns, und zwar völlig unabhängig von der Ursache oder der Schwere derzugrunde liegenden Erkrankung. Hierbei handelt es sich in aller Regel um Störun-gen, die das Gehirn als Ganzes und nicht einzelne Bereiche des Gehirns betreffen,wobei allerdings einzelne Bereiche des Gehirns stärker als andere betroffen seinkönnen. Prinzipiell können primäre, das Gehirn direkt betreffende von sekun-dären, das Gehirn indirekt betreffenden Schädigungen unterschieden werden.Primäre Hirnschädigungen sind z.B. neurodegenerative oder neurovaskuläreErkankungen, sekundäre z.B. metabolische Enzephalopathien bei Nieren- oderLebererkrankungen, Elektrolytstörungen, Sepsis sowie die hypoxischen Hirn-schädigungen nach Reanimation.

Allgemein gilt, dass alle Störungen, die das Gehirn als Ganzes betreffen, zugeneralisierten bzw. diffusen EEG-Veränderungen führen. Diese Veränderungensind für sich allein genommen völlig unspezifisch, d.h

� Ein bestimmtes EEG-Muster kann verschiedene Ursachen haben� Dieselbe Ursache kann zu verschiedenen EEG-Veränderungen führen.� Derselbe klinische Befund kann mit verschiedenen EEG-Mustern einher gehen.

Bei Enzephalopathien treten in erster Linie intermittierende oder kontinu-ierliche generalisierte Verlangsamungen auf, die bei regional betonten, z.B.neurodegenerativen oder vaskulären Prozessen auch zu zusätzlichen regionalbetonten Verlangsamungen führen können. Diese EEG-Veränderungen gehengemeinhin mit Veränderungen des Bewusstseins einher, die umso ausgeprägtersind, je schwerer das EEG verändert ist. Sofern regional betonte Verlangsa-mungen vorliegen, treten diese mit zunehmender Schwere der Erkrankung, z.B.bei einer progredient fortschreitenden Neurodegeneration, in den Hintergrund,sodass schließlich schwere diffuse EEG-Veränderungen dominieren.

2. Generalisierte Verlangsamungen (,,Allgemeinveränderung“)

Der verbreitete Begriff der ,,Allgemeinveränderung“ bezeichnet generalisierteVerlangsamungen des EEG mit kontinuierlich auftretender polymorpher lang-samer Theta- und Delta-Aktivität. Hierbei handelt es sich um ausgesprochenunspezifische EEG-Veränderungen. Allgemein werden 3 Schweregrade vonein-ander abgegrenzt, deren Übergänge fließend sind.

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Leichte generalisierte Verlangsamung (,,leichte Allgemeinveränderung“; mildslowing)

Es dominiert eine meist unregelmäßige Grundaktivität, deren Frequenz mit(8)7-6/s an der unteren Grenze des Alpha-Bands liegt. Eine topische Gliederungist nicht mehr vorhanden (zumindest aber eine Ausdehnung der Grundaktivi-tät bis nach frontal), was zur Abgrenzung von einer langsamen Alpha-Variantewichtig ist. Eine Blockade beim Augenöffnen kann noch vorhanden sein oder istnur unzureichend ausgeprägt.

Mittelschwere generalisierte Verlangsamung (,,mittelschwere Allgemeinver-änderung“; moderate slowing)

Vorherrschend findet sich eine diffus verteilte unregelmäßige Theta-Aktivität,in die noch vereinzelt langsame Alpha-Wellen und schon einzelne Delta einge-streut sein können. Beim Augenöffnen ist oft keine oder eine nur inkonstanteÄnderung erkennbar. Die Patienten weisen in der Regel Störungen des Bewusst-seins auf, die von einer verminderten Aufmerksamkeit bis hin zur Somnolenzreichen können.

Schwere generalisierte Verlangsamung (,,schwere Allgemeinveränderung“;severe slowing)

Das EEG zeigt überwiegend oder ausschließlich eine diffus verteilte polymor-phe Delta- z.T. auch Subdelta-Aktivität. Vereinzelt können noch überlagerndeTheta-Wellen auftreten. Solche EEG-Veränderungen sind oft mit deutlichen Stö-rungen des Bewusstseins, d.h. Sopor oder Koma assoziiert. Eine Veränderungauf Außenreize ist oft nicht mehr vorhanden.

3. Neurodegenerative Erkrankungen

3.1. Demenz vom Alzheimer-Typ

Patienten mit einer Demenz vom Alzheimer-Typ zeigen unterschiedlich ausge-prägte generalisierte Verlangsamungen, die eine regionale (temporale) Betonungaufweisen können. Dabei korreliert das Ausmaß der kognitiven Beeinträchtigungmit der Schwere der EEG-Veränderungen [5], allerdings nicht bei jedem Patien-ten, d.h. es sind im Einzelfall auch schwere Verlangsamungen bei nur geringerkognitiver Beeinträchtigung wie auch leichte generalisierte Verlangsamungen beischweren kognitiven Störungen möglich. Gelegentlich kann es zum Auftreten vonperiodischen Sharp-Wave Komplexe kommen, sodass bei rasch progredienterDemenz die Differentialdiagnose zur Creutzfeldt-Jacob Krankheit (s.u.) klinischund elektroenzephalographisch nicht möglich ist

3.2. Creutzfeldt-Jacob Krankheit

Zu Beginn der Erkrankung zeigt das EEG generalisierte Verlangsamungen, dieauch regional betont sein können. Charakteristisch für die Creutzfeldt-JacobKrankheit sind im Verlauf auftretende generalisierte periodische Sharp-WaveKomplexe, die auch regional betont und mit Myoklonien assoziiert sein können.

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Abbildung 1. Generalisierte periodische Sharp-Wave Komplexe bei Creutzfeldt-Jacob Krankheit.

Sie treten zunächst nur intermittierend vor dem Hintergrund einer generalisiertenVerlangsamung in Erscheinung, nehmen im Verlauf an Ausprägung zu und domi-nieren schließlich das EEG (Abb. 1). Ihnen kommt eine hohe Spezifität (91%)bei einer geringeren Sensitivität (64%) zu [7]. Selten einmal können ähnlicheVeränderungen auch bei einer rasch progredienten Demenz vom Alzheimer Typoder einer vaskulären Demenz auftreten [7].

4. Vaskuläre Enzephalopathie

Patienten mit vaskulären Enzephalopathien zeigen mehr oder weniger ausge-prägte generalisierte sowie regionale Verlangsamungen, wobei die Lokalisationder vaskulären Läsionen von Bedeutung ist. So treten bei der subkortika-len vaskulären Enzephalopathie infolge mikroangiopathischer Veränderungentrotz eindrücklichen klinischen Beeinträchtigungen oft nur geringe EEG-Veränderungen auf. Hier korreliert die Schwere der Verlangsamungen im EEGnicht mit der klinischen Symptomatik, zumindest nicht bei einfacher visuellerAnalyse des EEG, wohl aber bei eine quantitativen EEG-Analysen mit Bestim-mung der durchschnittlichen Frequenz und des Verhältnisses von Alpha undDelta-Aktivtät [2].

Patienten mit vaskulärer Demenz bei Makroangiopathie infolge multipler Ter-ritorialinfarkte zeigen früh im Verlauf regionale Verlangsamungen, zu der imweiteren Verlauf eine interindividuell unterschiedlich stark ausgeprägte genera-lisierte Verlangsamung tritt.

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Abbildung 2. Triphasische Wellen bei einem Patienten mit hepatischer Enzephalopathie. (Die 3Phasen sind in der Ableitung Fp2-A2 durch Pfeile gekennzeichnet).

5. Metabolisch-toxische Enzephalopathien

(Übersicht und weiterführende Literatur bei [4,3]),

5.1. Leberfunktionsstörungen

Lebererkrankungen führen nicht regelhaft zu EEG-Veränderungen, ins-besondere bei chronischen Erkrankungen kann eine erhebliche Diskrepanzzwischen klinischer Symptomatik und vergleichsweise gering ausgeprägtenEEG-Veränderungen bestehen. Dagegen korrelieren die EEG-Veränderungenbei akuten und subakuten hepatischen Enzephalopathien infolge eines aku-ten/subakuten Leberversagens gut mit dem Ausmaß der Bewusstseinsstörung.Hier treten parallel zur progredienten Eintrübung progrediente Verlangsamun-gen auf, sodass das EEG schließlich von Delta-Wellen dominiert wird. Bei einemschweren akuten Leberausfall kann auch ein Burst-Suppression-Muster (s.u.)auftreten.

Im Verlauf können auch triphasische Wellen auftreten, zunächst nur verein-zelt, dann auch kontinuierlich bilateral und rhythmisch, sodass sie schließlich dasgesamte EEG dominieren können. Formal handelt es sich um eine hochamplitu-dige (> 70 �V), positiv polarisierte scharfe Welle mit einer voranlaufenden sowieeiner nachfolgenden niedergespannten Welle negativer Polarität (Abb. 2). Die

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Patienten sind dann deutlich bewusstseinsgestört, aber meist noch erweckbar,wobei die triphasischen Wellen bei weiter fortschreitender Bewusstseinsstörungwieder verschwinden, sodass dann im hepatischen Koma schwere generalisierteVerlangsamungen dominieren. Triphasische Wellen treten keinesfalls obligatbei Patienten mit einer akuten/subakuten Hepatopathie auf und sind – entge-gen einer weit verbreiteten Ansicht – auch nicht spezifisch für eine hepatischeEnzephalopathie. Sie können auch bei anderen metabolischen, v.a. urämi-schen Störungen auftreten und werden gelegentlich auch bei neurodegenerativenDemenzen oder schweren strukturellen Schädigungen des Hirnparenchymsgesehen.

5.2. Nierenfunktionsstörungen

EEG-Veränderungen bei Patienten mit akutem Nierenversagen korrelierenrecht gut mit dem klinischen Befund. Je ausgeprägter die Bewusstseinsstörungist, umso schwerer ist in der Regel auch die generalisierte Verlangsamung.Darüber hinaus finden sich Einlagerungen von Spikes, Sharp Waves undtriphasischen Wellen, die mit Myoklonien und/oder epielptischen Anfälleneinher gehen können.

Bei chronisch niereninsuffizienten Patienten treten generalisierte Verlangsa-mungen erst bei deutlich höheren Werten der harnpflichtiger Substanzen auf. Gutbetreute dialysepflichtige Patienten haben oft nur geringe (oder auch keine) EEG-Veränderungen. Die mittlerweile seltene Demenz bei langjährig dialysepflichtigenPatienten (,,chronische Dialyseenzephalopathie“) ist mit deutlichen generali-sierten Verlangsamungen assoziiert. Häufig finden sich hier auch zusätzlichparoxysmale Gruppen und Serien bilateral synchroner generalisierter Delta-Gruppen.

5.3. Glucosestoffwechselstörungen

Hypoglykämien führen früh, Hyperglykämien erst bei sehr hohem Blut-zucker zu EEG-Veränderungen. Mit zunehmender Hypoglykämie bzw.Hyperglykämie kommt es zu zunehmenden generalisierten Verlangsamungen.EEG-Veränderungen treten unterhalb eines Blutzuckerspiegels von etwa 60 mg%auf, diffus verteilte Delta-Wellen etwa ab 40 mg%. Darüber hinaus kommtes insbesondere bei Hypoglykämien oft zu einer Akzentuierung meist vorbe-stehender epilepsietypischer Muster, die bei generalisierten Mustern häufigerund deutlich, bei fokalen Mustern seltener und eher gering ausgeprägt ist. Beieiner akuten kurzen Hypoglykämie bessert sich das EEG rasch parallel zur Nor-maliserung des Blutzuckers. Bei längerdauernden Hypoglykämien können dieEEG-Veränderungen die Blutzuckernormalisierung für Tage überdauern und beischwersten Hypoglykämien, die zu strukturellen Hirnschädigungen mit bleiben-den neurologischen Defiziten führen, auch bleiben

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5.4. Wernicke-Enzephalopathie

Bei einer Wernicke-Enzephalopathie trägt das EEG meist wenig zur Diagnosebei und ist bei wachen Patienten, bei denen die Ataxie und die Augenbe-wegungsstörungen im Vordergrund stehen, oft normal oder wenig verändert.Generalisierte Verlangsamungen treten vor allem bei bewusstseinsgestörten Pati-enten auf, in der Regel umso schwerer, je ausgeprägter die Bewusstseinsstörungist.

5.5. Sepsis

Bei einer septischen Enzephalopathie zeigt das EEG wechselnd ausgeprägtegeneralisierte Verlangsamungen. Zusätzliche regionale Verlangsamungen tretenv.a. bei regionalen Läsionen auf, z. B. bei Hirninfarkten oder –blutungen imRahmen septischer Gerinnungsstörungen. Das Auftreten generalisierter peri-odischer Entladungen (= periodisch oder annähernd periodisch auftretendebilateral synchrone repetetive Entladungen ähnlicher Morphologie) ist progno-stisch ungünstig [1].

6. Medikamentennebenwirkungen und Intoxikationen

Die meisten zentral-wirksamen Substanzen können zu diffusen Verlangsamun-gen führen. Diese Veränderungen sind bei der therapeutischen Anwendung oftnur diskret und ohne Vergleich mit einem Vor-EEG visuell nicht erkennbar.

� Benzodiazepine und Barbiturate können zu einer interindividuell variabelausgeprägten frontal betonten Beta-Aktivität führen und auch mit einer Ver-langsamung einher gehen.

� Antikonvulsiva führen in therapeutischer Dosierung meist nur zu diskreten,visuell nicht fassbaren Veränderungen. Carbamazepin und Oxcarbazepin kön-nen mit einem vermehrten Auftreten von Theta- und Delta-Wellen einhergehen. Die selten unter therapeutischen Dosen auftretenden Enzephalopathien,die v.a. unter Valproinsäure gesehen werden, gehen mit deutlichen generali-sierten Verlangsamungen einher, die sich nach Absetzen der Substanz wiederzurück bilden.

� Neuroleptika gehen mit einer Reduktion der Alpha-Aktivität und einerZunahme von Theta-Aktivität einher. Es sind auch paroxysmale generalisierteSharp Waves möglich, besonders bei Clozapin (Leponex®)

� Intoxikationen führen in aller Regel zu unspezifischen generalisierten Verlang-samungen, die umso ausgeprägter ist, je stärker das Bewusstsein beeinträchtigtist. Dabei kann eine frontal akzentuierte Beta-Aktivität auf eine Benzodiazepin-oder Barbituratintoxikation hinweisen. Schwere Intoxikationen mit Barbitu-raten oder Benzodiazepinen können bis zum Burst-Suppression-Muster undschließlich einem isoelektrischen EEG führen.

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7. Hypoxische Enzephalopathie nach Reanimation

Bei der hypoxischen Enzephalopahthie nach kardiopulmonaler Reanimationsind eine Reihe verschiedener EEG-Muster beschreiben worden, die aber auchbei Enzephalopathien anderer Ursachen auftreten können:

� Isoelektrisches EEG: bei einer Verstärkung von 20 �V/cm ist keine eindeutigehirneigene elektrische Aktivität erkennbar. Hierbei ist die Ableitung nahezuimmer durch EKG-Artefakte überlagert.

� Flaches EEG: die Amplituden der hirneigenen elektrischen Aktivität - vorwie-gend Theta –und Delta-Wellen – liegen durchgehend unter 20 �V

� Burst-Suppression-EEG: Wechsel von Gruppen polymorpher Theta (-Delta)-Wellen mit eingelagerten steilen Graphoelementen (spikes und sharp waves)(= Bursts) mit Perioden einer flachen, unter 20 �V hochgespannter Aktivität(=Suppression)

� Generalisierte epileptiforme Entladungen (generalized epileptiform dischar-ges): generalisierte bilateral synchron auftretende polymorphe spike, sharpwaves, spike-slow waves, und/oder sharp-slow waves. Die epileptiformenEntladungen können unregelmäßig aber auch periodisch auftreten (= genera-lisierte periodische epileptiforme Entladungen). Zwischen den epileptiformenEntladungen kann eine Hintergrundaktivität abgrenzbar sein (meist poly-morphe Theta-Delta-Wellen), die aber auch fehlen kann, d.h. zwischen denepileptiformen Entladungen besteht ein isolelektrisches EEG.

� Alpha-Koma-EEG: über allen Hirnregionen in etwa gleich stark ausgeprägteoder in den frontalen Ableitungen betonte Alpha-Aktivität

� Theta-Koma-EEG: diffus verteilte polymorphe Theta-Aktivität. (Wird voneinigen Autoren auch als Variante des Alpha-Koma-EEG angesehen)

� Delta-Koma-EEG: domnierende, diffus verteilt polymorphe Delta-Aktivität

8. Reaktivität auf Außenreize

Unabhängig von der Ursache und der Art der jeweils bestehenden EEG-Veränderung ist eine fehlende oder vorhandene Reaktivität auf Außenreize einwichtiger allgemeiner Prognose-Parameter. Ist eine Reaktivität erhalten, so han-delt es sich meist um das Auftreten von Gruppen und Serien höhervoltierterDelta-Wellen (Abb. 3), seltener auch um eine vorübergehende Beschleunigungder EEG-Aktivität (Abb. 4), vereinzelt auch nur um eine kurzzeitige Suppressionder EEG-Aktivität.

Patienten mit fehlender Reaktvität auf externe Reize haben eine eindeutigschlechtere Prognose als Patienten mit erhaltener EEG-Reaktivität. So verstar-ben in einer Untersuchung von [9] 116 von 136 (85%) komatösen Patienten mitfehlender Reaktvität. Dies entsprach einem 4,3fach höherem Mortalitätsrisikoals es komatöse Patienten mit erhaltener Reaktivität hatten. Ähnliche Befundeberichtete u.a. auch [10]: Bei rund 90% der komatösen Patienten mit einer guten

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Abbildung 3. Auftreten langsamer Delta-Wellen nach akustischem Reiz.

Abbildung 4. Auftreten rascherer Alpha und Theta-Aktivität nach akustischem Reiz.

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Besserung war die Reaktivität auf externe Reize erhalten, wogegen bei rund 85%der verstorbenen Patienten die Reaktion auf Außenreize ausgefallen war.

Die besondere Bedeutung einer ausgefallenen Reaktivität konnte unlängst auchnochmals an einer größeren Gruppen reanimierter und nachfolgend für 24 Stun-den mit einer milden Hypothermie behandelter Patienten gezeigt werden. Hierüberlebten nur 3 von 56 Patienten, mit einem areaktiven EEG auf akustische undSchmerzreize [6].

9. Prognostische Bedeutung bestimmter EEG-Muster

Einige Autoren haben für soporöse und komatöse Patienten Klassifizierun-gen vorgenommen, in denen die verschiedenen EEG-Muster in Gruppen mitzunehmend schlechterer Prognose eingeteilt wurden. Die beiden nachfolgenddargestellten Einteilungen in 3 bzw. 6 Klassen unterschiedlicher prognostischerBedeutung stehen stellvertretend für solche Versuche. Hierbei steht die höchsteZiffer für die jeweils schlechteste Prognose:

Young et al (1990) [9]:I • > 50% Delta/Theta-AktivitätII • triphasische WellenIII • Burst-Suppression-EEGIV • Alpha/Theta/Spindel-KomaV • Epileptiforme AktivitätVI • Flaches/isoelektrisches EEG

Synek et al. (1988) [8]:I • Delta-AktivitätII • Alpha/Theta-Koma-EEG

• Burst-Suppression-EEG• Epileptiforme Entladungen• Flaches (< 20 �V) EEG

III • isoelektrisches EEGFür sich allein genommen sind wohl nur generalisierte epileptiforme Entladun-

gen, ein Burst-Suppression-EEG sowie ein flaches/isolelektrisches EEG mit einerstatistisch nachweisbaren erhöhten Mortalität assoziiert [9]. Allerdings wird dieprognostische Bedeutung bestimmter EEG-Muster ganz entscheidend von derUrsache und dem Ausmaß etwaiger struktureller Hirnschädigungen bestimmt.Das gleiche EEG-Muster ist bei einer metabolischen Störung oder einer Intoxi-kation weitaus weniger ungünstig als bei einer diffusen zerebralen Hypoxie. Sohaben Patienten mit einem flachen areagiblen EEG unabhängig von der Ursachedes Komas ein insgesamt 4,1fach erhöhtes Mortalitätsrisiko. Bei einer metaboli-schen Störungen als Ursache des flachen areagiblen EEG ist das Mortalitätsrisikohingegen nur 1,4fach, bei einer diffusen zerebraler Hypoxie aber 18fach erhöht[9]. Auch generalisierte periodische Entladungen (“generalized periodic dischar-ges”) i.S. periodisch oder annähernd periodisch auftretende bilateral synchronerepetetive Entladungen ähnlicher Morphologie, sind nur dann prognostischungünstig, wenn sie nach Reanimation auftreten, der Patient komatös ist, eineSepsis vorliegt, oder der Patient im nonkonvulsiven Status ist, d.h. diskrete Myo-klonien z.B. am Mundwinkel oder intermittierende Blickwendungen vorliegen

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[1]. Schließlich können auch Patienten mit einem Burst-Suppression-Muster odereinem isoelektrischen EEG wieder völlig genesen, wenn diese EEG-Muster z.B.bei schweren Barbiturat- oder Benzodiazepin-Intoxikationen auftreten und dieKomplikationen intensivmedizinisch beherrscht werden können.

10. Schlussfolgerungen

Trotz aller Fortschritte der computer- und vor allem magnetresonanztomo-graphischen Diagnostik ist das EEG nach wie vor bei der Untersuchung derHirnfunktion konkurrenzlos. Gelegentlich kann es auch Hinweise auf die Ursa-che der Hirnfunktionsstörung geben und erlaubt unter Berücksichtigung derÄtiologie der Hirnfunktionsstörung oft auch Rückschlüsse auf die Prognosedieser Patienten.

11. Interessenkonflikt

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

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